Kreuz
vor den Toren der Stadt
Farbenleuchtende
Helligkeit und Wärme. Dächer und Giebel sind zu erkennen. Oben
ragen Türme mit spitzen Dächern in den Himmel. Vielleicht eine
Kirche.
Ich
sehe eine Stadt, die in den Strahlen der aufgehenden Sonne langsam
erwacht. In den letzten Winkeln sind noch Reste der Dunkelheit.
Häuser und Fenster lassen etwas vom Leben der Menschen erahnen.
Hinter jedem Fenster und hinter jeder Tür verbirgt sich eine eigene
Geschichte. Ein Zuhause für Menschen bedeutet Ankommen und
Geborgenheit im Leben.
Als
Mensch brauchst Du einen Ort der Abenteuer und Geheimnisse, wo Du
hingehörst. Wo Du nach den Beschäftigungen des Tages ankommen
kannst, Gemeinschaft und Liebe zu finden. Damit wir nicht verloren
gehen.
Die
Formen überlagern sich. Wo endet das eine, wo fängt das Neue an?
Die
Stadt verbirgt sich, wie hinter einem Schleier. Eins aber kann ich
klar erkennen. Es hebt sich
mit schwarzem Strich heraus: Ein Kreuz im unteren Bereich des Bildes.
Seine dunkle Geschichte stört im Klang der Erzählung. Vielleicht
ein Kreuz vor den Toren der Stadt. Wenn Du in die Stadt
hinaufsteigst, kommst Du an diesem Kreuz vorbei.
Und
wenn Du die Stadt verlässt – auch.
Das
Kreuz erzählt eine Geschichte. Es erzählt von einem, der vor den
Toren der Stadt gelitten hat. Es erzählt von dem, der Gottes Liebe
zu uns gebracht hat. Es erzählt von dem, der den Weg der Wahrheit
bis in den Tod gegangen ist, uns Menschen zugute.
Das
Kreuz, das wir vor Augen haben, erzählt aber noch eine andere
Geschichte. Erst beim längeren Hinsehen fällt es manchen auf: Es
ist ein Gesicht, das mich ansieht. Die Augen sind deutlich zu
erkennen. Eindringlich schauen sie uns an. Augenbrauen, Farben in
zwei sanften Bögen. Die Lippen scheinen das kleine Kreuz zu
berühren, vielleicht zu küssen. Mir scheint, die Gesichtszüge
haben etwas Ernstes, sogar etwas Zeitloses.
Wenn
man die Augen erst einmal entdeckt hat, kann man sich ihrem Blick
kaum entziehen. Jemand blickt mich durch dieses Kreuz an.
Auf
einmal sind wir nicht einfach nur unbeteiligte Betrachter des
Kreuzes. Auch ich bin im Blick. Und so kommt in die Betrachtung des
Kreuzes Bewegung und es wird klar: Das, worum es hier geht, hat auch
etwas mit Dir zu tun. Du wirst ein Teil dieser Geschichte.
Darstellungen
des Kreuzes überlagern sich. Die Geschichten der farbenfrohen Stadt,
die ein Zuhause für Menschen wird mit dem fremd-wirkenden Kreuz auf
dem Platz vor den Toren. Und das Bild von dem Mann mit der Krone, der
mich ansieht – durch das Kreuz. Menschengeschichte und
Gottesgeschichte kommen in diesem Bild zusammen. Das Ineinander
dieser Geschichten macht für mich eine Tiefe des Bildes aus.
Zusammengehalten werden beide Geschichten durch die Form des Kreuzes.
Im Kreuz findet das Getrennte und Auseinanderstrebende eine
gemeinsame Gestalt. Im Kreuz wird die Einheit von Himmel und Erde,
von Gott und Mensch anschaulich. Im Kreuz, dem universalen Symbol des
Christentums.
Textfassung
2018
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